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Ehe für Alle: Gleichstellung jetzt endlich?

veröffentlicht am 30. Juni 2017

Plötzlich ging es ganz schnell: Der Bundestag hat soeben beschlossen, dass auch Lesben und Schwule heiraten dürfen. Ein wichtiges Signal, aber auch endlich eine wirkliche Gleichstellung?

zwei Männerbeine mit rosa Schlappen

Nach quälend langem Weg ins Ziel geschlappt?

Selten war ein Beschluss des Bundestages von solch einer Mythenbildung begleitet. Angela Merkel habe nach der Einladung eines lesbischen Paares mit 8 Pflegekindern die Erkenntnis gewonnen, dass auch Schwule und Lesben dieselben Werte der Verbindlichkeit leben wie Heteropaare. Wenn – so der Schluss – Jugendämter hier das Kindeswohl in guten Händen sehen, dann …. Das hat Merkel beim entspannten Brigitte-Interview plaudernd erzählt. Dass sie das ohne Kalkül getan hat, ist unwahrscheinlich, wäre aber eine schöne Geschichte.

Die Ehe für Alle ist, so wie es sich rechtlich im Moment darstellt, vor allem Eins: Ein wichtiges Signal in Zeiten, in denen Homophobie in vielen Facetten wieder auf dem Vormarsch ist – von Erdogan bis AfD. Nachdem die eingetragene Lebenspartnerschaft in zähem Ringen und meist mit Hilfe von Gerichtsurteilen rechtlich der Ehe immer weiter angenähert werden konnte, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Öffnung der Ehe jetzt realiter hat.

Gemeinsames Adoptionsrecht: die Praxis entscheidet

Überall angeführt wird das gemeinsame Adoptionsrecht, das damit erreicht wird. Auch das könnte in der Praxis eher ein Zeichen als ein wirklicher Fortschritt sein. Wie letztlich in einem Adoptionsverfahren entschieden, und ob es tatsächlich gleiche Chancen geben wird, muss sich erst noch zeigen. Der entsprechende Passus im BGB lautet: „Ein Ehepaar kann ein Kind nur gemeinschaftlich annehmen“ (§ 1742).

Hier könnt Ihr die komplette Debatte im Bundestag sehen:

Stiefkindadoption weiterhin unumgänglich

Eine spürbare Erleichterung wäre es, wenn zukünftig ein Kind, das in die Ehe eines lesbischen oder schwule Paares geboren wird, ohne weiteres Verfahren als deren gemeinsames Kind gilt. Bei heterosexuellen Paaren ist genau das der Fall. Bei homosexuellen Ehepaaren trifft das nicht zu, weil die Abstimmungsregelung nicht entsprechend angepasst wurde. Einschlägig ist hierfür § 1592 BGB, in dem die Vaterschaft geregelt wird. Darin heißt es u.a., dass Vater eines Kindes der Mann ist, „der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist.“

Das bedeutet im Klartext: Alle Regenbogenfamilien müssen auch weiterhin das Verfahren einer Stiefkindadoption durchlaufen, das für einen völlig anderen Fall entwickelt wurde und nicht selten die Familiengründung belastet. Ob es in der nächste Legislaturperiode eine entsprechende Anpassung des Abstammungsrechtes geben wird, bleibt abzuwarten und hängt sicher auch von der Farbkombination der Regierungskoalition ab.

Besserer Zugang zur assistierten Reproduktionsmedizin?

Auch vor der Zeugung und Geburt eines Kindes gilt es für Regenbogenfamilien, einige Hürden zu nehmen. Nach wie vor wird lesbischen Frauen und Paaren die Behandlung bei Samenbanken oft verweigert. In den letzten Jahren hat sich deshalb ein reger Zeugungstourismus in aufgeschlossenere Nachbarländer entwickelt. Hindernis sind die Richtlinien der Landesärztekammern, denen zufolge sittenwidrige Handlungen strafbar sein können. Was genau als sittenwidrig eingestuft wird, ist allerdings umstritten. Hier bleibt die Hoffnung, dass sich durch die Öffnung der Ehe die Einschätzung grundlegend ändern wird, aber auch das wird Zeit brauchen.

Sturzgeburt nach fast 30 Jahren Debatte

Ja, es ging plötzlich alles überraschend schnell. Eine überrumpelte Gerda Hasselfeldt sprach von einer „Sturzgeburt“. Überzeugender hat es Volker Beck formuliert, der etwas süffisant anmerkte, dass die Frage nach der Öffnung der Ehe nach fast 30 Jahren Debatte entscheidungsreif sei. Beides stimmt: Nach sehr langer Übertragung kam es zu einer Sturzgeburt. Gerade für Regenbogenfamilien bleibt vieles – zumindest vorerst – wie es war. Es drängt sich die Frage auf, ob während der zermürbend langen, mal offen, mal unterschwellig ausgetragenen Debatte, nicht entsprechende Regelungen hätten gefunden werden können.

Auch wenn es letztlich rechtlich nur wenig ändert, haben wir doch einen langen Kampf gewonnen. Alle, die ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe ändern wollen, müssen oder dürfen noch einmal vor den/die Standesbeamt_in treten. Ob die Standesämter personell aufrüsten müssen?

Angela Merkel hat übrigens gegen die Ehe für Alle gestimmt – auch das sollte man bei der Mythenbildung nicht vergessen.